Was Rehkitz-Rettung mit Agilität zu tun hat!

Seit einigen Jahren engagiere ich mich aktiv bei der Rehkitzrettung in Brandenburg, meinen Heimat-Bundesland. Eine sehr schöne und sinnstiftende Tätigkeit, auch wenn sie mit vielem frühen Aufstehen verbunden ist.

Ein Plan, der gut funktioniert

Teilweise mitten in der Nacht starten wir die Rettungsaktionen. Die kleinen Rehkitze haben in ihren ersten Wochen noch keinen Fluchtinstinkt ausgeprägt und ducken sich bei Gefahr tief in die Deckung auf den hochstehenden Wiesen des Landes. Doch der Mäh-Traktor würde sie überfahren und damit töten, wenn sich nicht so viele Helfer auf den Weg machen, die Wiesen abzusuchen. Mit Erfolg.

Ausgestattet mit Drohne und Wärmebild-Kamera, werden Kitze aufgespürt und in Aufbewahrungsboxen gesichert, bis das Mähen vorbei ist.

Dann werden sie wieder freigelassen und finden dann schnell zur Mutter, der Rikke, zurück.

So werden Kitze Jahr für Jahr vor dem sicheren Mäh-Tot gerettet.

Was passiert, wenn der Plan nicht mehr aufgeht?

Hier beschreibe ich mal einen Einsatz, bei dem nicht alles so verläuft wie man sich das wünscht oder plant. Bis auf ein Kitz, waren alle gefundenen Kitze mit diesem vorübergehenden „Freiheitsentzug“ nicht einverstanden und flüchteten. Leider nicht weit genug, um dem Traktor zu entkommen. Eine komplexe Situation entsteht, Regen kommt hinzu, was den Flug der Drohne, die sonst für die Lokalisierung zuständig ist, unmöglich macht. Und jetzt? Erst wissen wir nicht weiter, sind ratlos.

Dann aber entsteht eine Situation, die sehr schön deutlich macht, was es jetzt braucht. Entscheidungen unter Unsicherheit sind gefragt. Wer soll sie treffen?

Der Experte und Drohnenpilot muss neue Entscheidungen treffen, die so bisher noch nicht getroffen wurden und die Zeit drängt, der Mäh-Traktor rückt an.

Sich seiner Unsicherheit bewusst, macht er dies schnell transparent und bezieht die Helfer mit ein. Jeder soll die Situation für sich bewerten und einen Vorschlag machen. Auch hier herrscht erst einmal Unsicherheit. Dennoch entstehen nach jeder Wortmeldung Ideen zum Ausprobieren. Unser Drohnenpilot bedankt sich und trifft die erste neue Entscheidung. Wir laufen vor dem Mäh-Traktor her und versuchen, die Kitze zu verscheuchen. Was sich auf dem ersten Blick erfolgreich aussieht, kommt dann aber wie ein Bumerang wieder zurück. Wir verscheuchen zwar erfolgreich die Kitze, diese laufen aber wieder in die noch ungemähten Wiesenteile zurück, sie suchen Deckung.

Eine neue Konsultation und neue Entscheidungen werden benötigt. Der Traktorfahrer mit seiner hohen Sitzposition wird in die Rettung einbezogen. Er fährt und mäht nun extrem langsam, sieht aber allein 5 Kitze aus dieser Position, die von den Helfern dann erfolgreich „verscheucht“ werden können.

Jetzt sind die ungemähten Teile der Wiese Kitz frei.

Wieder braucht es eine neue Konsultation und neue Entscheidungen. Wir müssen verhindern, dass die Kitze zurückkommen.

Jetzt werden Helfer mit guten Augen oder Ferngläsern an der Kante zum ungemähten Bereich postiert. Es gelingt. Kein Kitz schafft es zurück in die ungemähten Bereiche.

Dann ist die Wiese gemäht. Entwarnung. Alle Kitze sind wohlauf. Es wird Zeit, dass das eine Kitz, dass wir an diesem Morgen festsetzen konnten, wieder in die Freiheit entlassen wird.

Wenn es am Anfang nicht in die Aufbewahrungsbox wollte und sich mit allem was es zur Verfügung hatte, stark gewehrt hat, muss es jetzt etwas nachdrücklicher gebeten werden, die Box zu verlassen. Nach einem kurzen Moment verschwindet auch dieses in den nachliegenden Wald.

Unser Erfolg

Jetzt wird noch beobachtet. Wie finden die Kitze wieder zur Rikke? Nach einige Zeit erscheinen aus dem Wald zurück, auf der Suche nach dem Nachwuchs.

Und endlich, die erste Rikke hat ihre beiden Kitze wieder zusammen. Alle sind zufrieden. Mittlerweise ist es Mittag. Was sonst üblicherweise gegen 09:00 Uhr beendet ist, hat heute länger gedauert.

Agilität – Was haben wir gelernt?

Mit dem Sinnbezug, schließlich retten wir hier Leben und sorgen dafür, dass sowohl der Tierbestand gesichert bleibt und der Bauer gutes Futter in seine Scheune bringen kann, war allen klar, dass wir erst gehen (können), wenn unsere Mission beendet ist. Für einige von uns war das eine besondere Herausforderung.

Heute mussten wir raus aus der Komfortzone, teilweise an Grenzen gehen, denn das bisher sichere Führen durch den Drohnenpiloten, sich voll und ganz auf ihn verlassen zu können, funktionierte heute nur bedingt.

Keiner war darauf eingestellt, dennoch waren wir bereit, als wir transparent in die Unsicherheit des Drohnenpiloten einbezogen wurden, Ideen zu entwickeln und auszuprobieren. Es gab keine Fehler, nur so manche Irrtümer, die aber schnell durch neue Ideen korrigiert werden könnten.

Agilität heißt hier das ZAUBERWORT. Mutig zu sein, auch unter Unsicherheit Entscheidungen zu treffen und bereit zu sein, nicht aufzugeben, immer wieder die Entscheidungen und Handlungen anzupassen. Sich gegenseitig zuzuhören, Ideen nicht gleich zu bewerten, sondern im Dialog aufzugreifen und weiterzuentwickeln, bis wir sicher waren, die getroffene Entscheidung bringt und erst einmal weiter.

LETZTENDLICH WAREN WIR ERFOLGREICH! LETZTLICH WAREN WIR GLÜCKLICH!